Über das Verschwenden von Zeit

„Sei streng, pünktlich, ordentlich, arbeitsam, fleißig in deinem Beruf“, formulierte Knigge einst. So weit, so gut.

Eine Tugend, die Deutschen wie Schweizern neben der Akkuratesse zugeschrieben wird, ist die Pünktlichkeit. Pünktlich wie eine Schweizer Bahnhofsuhr! Gerade mit dieser Tugend ist es jedoch schwer wie nie. Max Weber schrieb, das Verschwenden von Zeit sei „die erste und prinzipiell schwerste aller Sünden.“

Zeit ist mehr denn je Geld. Früher mag das Stehlen von Zeit nur ein Zeichen von Macht oder Geringschätzung gewesen sein. Heute ist das Stehlen von Zeit das Stehlen von Geld.

Das gilt sowohl in Sachen Pünktlichkeit als neuerdings immer mehr ebenso beim Ummgang mit der eigenen Zeit. Warum in der Berufs- und Alltagswelt kaum mehr wartende Menschen anzutreffen sind? Die Ablenkung durch Smartphones ist bereits reflexartig in unser Verhaltensmuster eingegangen. Ein weiterer Grund ist vor allem der im Berufsleben rigoros gelebte Kapitalismus.

Der Ende des 20. Jahrhunderts in Erfurt geborene Soziologe Max Weber, liefert eine weitere Begründung, warum wir das Warten verlernen mussten. Für ihn konnte der Kapitalismus mit seinen modernen Rationalisierungsprozessen nur entstehen, weil es eine protestantische Ethik gibt. Nach seiner Argumentation hat der Protestantismus die Bestimmung des Menschen neu definiert: Entscheidend sei nicht die Ausrichtung auf das Jenseits, sondern der tägliche Dienst zu Gottes Ehren. Wer gläubig ist, erfüllt die Pflichten im Hier und im Jetzt. Arbeit als Mittel der „innerweltlichen Askese“. Die Verschwendung von Zeit als eine der größten Sünden. Der Umkehrschluss: Wer arbeitet, dient praktisch Gott.  Daraus entstand die protestantische Leistungsethik, die wir heute in Form einer bürgerlichen Berufsethik an Bahnsteigen und sonst wo sehen. Es glauben zwar immer weniger Menschen an Gott. Das gelernte Verhalten aber bleibt. Nur keine Zeit verschwenden.

Doch was sollten wir tun, um kurze Wartezeiten nicht mit scheinbar wichtiger Arbeit zu überbücken? Andere Kollegen beobachten? Mitmenschen anstarren? Die Landschaft betrachten? In Gedanken schwelgen – wenn ja in welchen? Die Frage muss sich wohl jeder selbst beantworten.

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